hckn016: Informatik und gesellschaftliches Engagement

Willkommen zu einer weiteren Folge Haecksenwerk! 

Haecksenwerk ist das Podcastkollektiv der Haecksen. Es geht um die ganze Bandbreite von Technik, Kultur und Feminismus. In unserem Podcast möchten wir Einblicke in Themen geben, die uns bewegen.

In dieser Folge geht es technisch und politisch zu. dakoraa hat khaleesi zum Interview eingeladen, die nicht nur Informatikerin ist, sondern sich auch gesellschaftlich und politisch in diesem Kontext engagiert. Sie beginnen mit der Chatkontrolle, reden über khaleesis Zusammenarbeit mit EDRi, einem europäisch arbeitenden Netzwerk von Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich auf europäischer Ebene für Digitales Recht einsetzen. Ausserdem geht es auch darum, wie sich Studierende und Dozierende dafür engagieren, dass Technikfolgenabschätzung einen besseren Stellenwert in der Ausbildung von Informatiker*innen bekommt.

Inhaltswarnung: CSAM wird zu Beginn im Kontext Chatkontrolle erwähnt, aber nicht näher beschrieben.

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Stichworte

Chaos Computer Club (CCC), European Digital Rights (EDRi), Chatkontrolle, Netzsperren, Computer Scientists 4 Future

Credits

Transkript

dakoraa: Leute, hallo! Schön, dass ihr mal wieder da seid beim Haecksenwerk-Podcast. Ich bin Dakoraa und sitze heute in der UDP-Aufnahmeverbindung mit Khaleesi. Khaleesi ist Aktivistin, engagiert sich im CCC und in der EDRi, einer Organisation, die sich für Datenschutz auf EU-Ebene einsetzt. Sie ist Informatikerin mit Spezialisierung Computer Security und engagiert sich bei den Computer Scientists for Future. Und sie ist Leistungssportlerin. Und wie das alles zusammen kommt, erfahrt ihr jetzt beim Podcast. Hey, grüß dich, Khaleesi! 

khaleesi: Hallo.

dakoraa: Khaleesi ist bekannt für ihr Engagement bei der Chatkontrolle, was auch der Grund ist, warum wir darüber heute eigentlich nicht reden wollen, weil wir wollen mal über die ganze Menge reden, über die Khaleesi sonst nicht so viele Worte verlieren darf. Aber vielleicht ganz kurz als Teaser, worum geht’s bei der Chatkontrolle?

khaleesi: Ja, die Chatkontrolle ist ein neues EU-Gesetz oder Gesetzesvorschlag, der sich eigentlich mit dem Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt beschäftigen soll. Was er letztendlich aber tut, ist eine enorme Überwachungsmaschinerie zu starten. Ja, das würde zum Beispiel Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation komplett untergraben, aber auch für einen Scan von allen anderen möglichen Kommunikationskanälen sorgen.

dakoraa: Also das Übliche, Kinder mit Gewalterfahrung werden von rechten Politikern, Überwachungspolitikern instrumentalisiert, um Überwachung einzuführen, ohne dass es denen wirklich hilft.

khaleesi: Ja, also es gibt tatsächlich sehr, sehr viel mehr Dinge, was auch Kinderschutzverbände sagen, die jetzt erstmal passieren müssen, um Kinder wirklich zu schützen.

dakoraa: Ja, unschönes Thema, aber darüber wollen wir heute nicht so wirklich reden. Aber ganz kurz, in welchem Podcast können Leute dich mehr über das Thema reden hören, wenn sie das gerne wissen wollen?

khaleesi: Also beim Chaosradio haben wir so ein bisschen den Rundumschlag gemacht. Auch so ein bisschen, wie EU-Gesetzgebungsprozesse eigentlich funktionieren. Und ansonsten gibt es zwei Folgen Logbuch Netzpolitik dazu. Einmal so eine grundlegende Ausführung, die ist aus Mai und ein kleines Update, was jetzt eigentlich alles passiert ist, aus dem September oder Oktober ist die, glaube ich. Die heißt “wir prüfen das im Frontend”.

dakoraa: Heißt, wir verlinken das. Ah, das war das zu den Chat-Accounts. Ich habe mal einen Thread darüber geschrieben, den kann ich dann sogar auch in die Shownotes packen auf Twitter. Matthew Green hat analysiert, warum einfach dieses Idee von technischen Chatkontrollen in Messagern überhaupt keine gute Idee ist, packe ich dann auch noch nachher in die Shownotes. Da haben wir ja schön unsere Inhalte gepluggt. Genau. Ich kenne dich, Khaleesi, aus dem CCC und von den Haecksen natürlich. Das ist ja auch der Podcast der Haecksen. Und was ich gerade erst erfahren habe und mich damit natürlich ein bisschen verraten habe als Person, die zu viele Dinge zu tun hat und nicht so richtig Medien konsumiert, ist, dass du für den CCC dich ganz stark bei der EDRi einsetzt. EDRi, wofür steht dieses Akronym eigentlich?

khaleesi: EDRi steht für European Digital Rights und bildet eigentlich so einen Zusammenschluss von allen NGOs oder Organisationen, die was mit digitalen Menschenrechten in Europa machen.

dakoraa: Und warum braucht es eigentlich diesen Zusammenschluss? Es gibt doch lauter Organisationen wie zum Beispiel der CCC, die sich da schon einbringen. Woher kam diese Idee, das auch mal europaweit zu tun?

khaleesi: Ich glaube, man muss da immer sehen, dass man solche Kämpfe häufig gar nicht national entscheiden kann. Also zum Beispiel bei der Copyright-Debatte, dass es da wirklich einen Zusammenschluss von allen Organisationen braucht…

dakoraa: Mhm.

khaleesi: …und dass man dann halt sowohl national seine Politiker*innen bearbeitet, aber auch die Politiker*innen, die natürlich im EU-Parlament sitzen. Und man muss dazu wissen, dass natürlich große Tech-Konzerne eine massive Lobby in Brüssel, also wo das EU-Parlament sitzt, haben. Und EDRi ist so ein bisschen die Lobby auch vor Ort, die wir da haben und die das auch so ein bisschen organisiert. Also wir haben da ein Büro, was halt aus einem reinen Policy-Team, aber auch aus einem Team von Kampagner*innen besteht, die halt wirklich sich mit den Gesetzgebungen auf der EU-Ebene beschäftigen.

dakoraa: Verstehe. Das ist einfach auch ein internationales Thema. Ich meine, ganz viele von den großen Firmen sitzen auch einfach nicht in Deutschland, sie sitzen in der EU, operieren auf EU-Ebene. Es gibt auch immer mal wieder dieses Thema, dass große Tech-Firmen ihre Büros in Irland haben, weil da gerade die Datenschutzregulierung nicht so wahnsinnig zuträglich für die Nutzenden ist und solche Themen.

khaleesi: Ja, genau. Also Google hat zum Beispiel seinen Sitz direkt gegenüber vom EU-Parlament in Brüssel.

dakoraa: Ja, das ist natürlich eine krasse Verbindung. So, du bist jetzt aber nicht bei der EDRi, sondern du bist beim CCC. Wie bist du dann eigentlich dazu gekommen, dich eben für die EDRI an sich einzusetzen?

khaleesi: Also es ist halt so, dass alle Organisationen Menschen haben, die für diese Organisationen in der EDRi tätig sind. Das heißt, wir kümmern uns darum, zu schauen, was es da gerade alles so Neues gibt in der EDRi, was da gerade passiert, und bringen dann halt auch die Interessen unserer Organisation bei EDRi mit ein.

dakoraa: Du übernimmst quasi die Vertreter*innen-Rolle vom CCC innerhalb der EDRi.

khaleesi: Ja, genau.

dakoraa: Ihr trefft euch dann quasi und besprecht die Themen. Ich glaube, es gibt auch eine Mailing-Liste, auf die dann alle Mitglieder jeweils subscribed sind und über die Themen reden.

khaleesi: Ja, vielleicht können wir hier jetzt kurz einen Werbeblock für die Europa-Arbeitsgruppe des CCCs machen. Also, wir haben auch eine kleine EU-Arbeitsgruppe, in der wir uns halt mit EU-Gesetzgebungsthemen beschäftigen und uns auch regelmäßig treffen. Und über diese EU-Mailing-Liste schicken wir dann halt auch die Infos, was jetzt eigentlich gerade alles so los ist und was es Neues gibt und vielleicht, wo es auch Möglichkeiten oder ja, Unterstützung braucht für bestimmte Themen. Wir haben ja ganz viele Wesen im CCC, die sich in ganz nischigen Themen teilweise sehr gut auskennen. Und das kann manchmal sehr hilfreich sein, sich da einzubringen. Und bei der EDRi ist es so, da gibt es halt für die unterschiedlichen Gesetzgebungen Arbeitsgruppen. Ich bin jetzt zum Beispiel in der Arbeitsgruppe für die Chatkontrolle. Kantorkel ist in der Arbeitsgruppe für biometrische Massenüberwachung. Und die treffen sich dann halt regelmäßig in diesen Arbeitsgruppen und bearbeiten diese Themen.

dakoraa: Cool. Und das ist quasi, wie sich dann die einzelnen Mitglieder da organisieren. Und was waren in der Vergangenheit so die Erfolge, die EDRi gefeiert hat? Ich weiß, dass es da immer wieder Gesetze gab, die auch einfach quasi zurückgeschlagen wurden dann auch tatsächlich und nicht Gesetz wurden. Welchen Themen habt ihr euch da in der Vergangenheit gewidmet?

khaleesi: Ich glaube, der letzte große Erfolg war so der Digital Services Act und der Digital Markets Act, wo EDRi sehr intensiv mit dran gearbeitet hat und auch viel Quatsch an den Stellen verhindern konnte. Dann natürlich das ganze Thema Netzneutralität, was wir jetzt bald wieder auf dem Tisch haben, aber was damals sehr erfolgreich war. Und natürlich die ganze Upload-Filter-Copyright-Debatte. Ich weiß gar nicht mehr, wann das war. Ich glaube, es war 2014 oder 2013. Ich kriege es gerade nicht mehr ganz zusammen. Da gab es ja wirklich auch riesen Proteste und so weiter.

dakoraa: Aber Upload-Filter hört sich doch jetzt auch so ganz ähnlich an zu Chatkontrolle.

khaleesi: Ja, das stimmt. Es ist halt tatsächlich so, dass auf EU-Ebene ärgerliche Dinge immer mit einem neuen Mantel wiederkommen. Das sehen wir halt ganz häufig, genauso wie bei den Netzneutralitätsthemen, dass die Sachen halt dann immer wieder nach vorne gebracht werden. Also in diesem Fall haben wir es halt geschafft, zum Beispiel Netzsperren aus dem Digital Markets Act bzw. Digital Service Act rauszuhalten.

dakoraa: Netzsperren bedeutet, dass bestimmte Webseiten einfach nicht mehr aufrufbar sind. Die werden dann zwar nicht aus dem Netz gelöscht, aber die Provider machen dann Dinge, dass man bestimmte Webseiten einfach nicht mehr aufrufen darf, oder?

khaleesi: Genau, also die werden dann halt auf DNS-Ebene einfach gesperrt.

dakoraa: DNS ist das System, was in eurem Browser, wenn ihr da einen Namen eingibt, zum Beispiel Haecksen.org, das in so eine Zahl auflöst. Und mit der Zahl kann man dann eigentlich tatsächlich Pakete im Internet hin- und herschicken und die Kommunikation aufbauen, weil das Internet kennt eigentlich keine Namen. Deswegen gibt es da so ein System, was quasi die Postadresse zu jedem Namen im Internet rausfindet. Könntest du vielleicht auch noch kurz das Thema Netzneutralität erklären? Was bedeutet dieser Begriff eigentlich?

khaleesi: Also die Idee hinter Netzneutralität ist, dass sozusagen alle Pakete gleich behandelt werden. Das heißt, egal, ob ihr jetzt media.ccc.de aufruft oder Netflix, alle Pakete sind gleichberechtigt. Das Problem ist, wir hatten das auch schon vor ein paar Jahren, vielleicht erinnert der ein oder andere oder die ein oder andere sich daran, über StreamOn, wo man halt sozusagen bestimmte Anwendungen kein Datenvolumen gekostet haben. Und das führt meistens dazu, dass halt große Firmen sich halt sozusagen dieses bevorzugte Behandeln einkaufen. Und das hat natürlich einen Nachteil auch für kleinere Anbieter*innen, aber auch zum Beispiel wie media.ccc.de, weil wir ja gar kein kommerzieller Anbieter von solchen Dingen sind und dementsprechend natürlich auch nicht extra Geld dafür bezahlen, damit wir bevorzugt behandelt werden.

dakoraa: Schutzgeldzahlungen im Internet sind das.

khaleesi: Digitale Wegelagerei.

dakoraa: So schöne Internetverbindungen hast du da. Wäre doch schade, wenn dir was passiert, wenn du uns nicht Geld zahlst, damit wir das hochraten. Das ist ja ein richtiges Kartellrechtsproblem, weil am Schluss hast du dann halt einfach, dass nur noch YouTube und Netflix ihre Dienste anbieten können und alle anderen können das gar nicht, weil man für deren Traffic extra Geld bezahlen muss, sondern so. Das sind ja richtige Kartellfragen, die da bearbeitet werden. Und das wirkt ja immer wie so ein super komisches Thema. Ja, Diskriminierung von Paketen im Internet, aber eigentlich geht es um Kartellfragen und dass nur noch große Firmen im Internet überhaupt agieren können. Also du meintest ja, dass diese Themen auf EU-Ebene wie Chatkontrolle und vorher hatten wir die Upload-Filter immer wieder kommen. Ich erinnere mich da, dass es mal dieses Thema gab, Safe Harbor, und dann hieß das ja Privacy Shield und wurde, glaube ich, nochmal umbenannt. Also da ging es darum, dass unsere Daten einfach in die USA verschickt werden können, ohne dass die eigentlich tatsächlich guten Datenschutz haben und solche Themen. Einfach per Dekret. Woran liegt das, dass diese Themen die ganze Zeit auf EU-Ebene immer wieder aufpoppen?

khaleesi: Ich glaube, das liegt da dran. Wir haben ja sozusagen eine Verschiebung, die wir gerade sehen. Also durch die fortschreitende Digitalisierung verschiebt sich natürlich auch ein Großteil unserer Gesellschaft, unseres Handelns, unseres Alltags in dieses Internet, was aber eigentlich ja ursprünglich gar nicht so dafür gebaut wurde, dass es so genutzt wird, wie es jetzt genutzt wird. Und es gibt natürlich Probleme, also Thema Rechtsdurchsetzung im Internet oder Content-Moderation zum Beispiel, was wir ja alle ganz aktuell gerade sehen, die natürlich ein Problem sind, die aber auch sehr schwierig zu lösen sind und was wir halt auf EU-Ebene haben, sind natürlich Politiker*innen, die nicht unbedingt großes technisches Wissen haben und dazu eine enorm große Wirtschaftslobby und einen sehr interessierten Überwachungsapparat und das spielt alles so zusammen und dadurch poppen die Themen dann halt immer wieder auf, weil es sich jetzt gerade angebracht ist, weil jetzt gerade ein EU-Kommissar sich damit schmücken möchte. Also in dem Fall von der Chatkontrolle zum Beispiel Ilva Johansson mit Kinderschutz und das ist glaube ich dann noch so ein bisschen die zweite Komponente dieser Ansatz, komplexe gesellschaftliche Probleme, die wir vielleicht auch gar nicht schaffen auf der gesellschaftlichen Ebene zu lösen, dann zu versuchen mit ganz einfacher Technologie zu erschlagen oder nicht einfacher Technologie, aber einfach mit Technologie zu erschlagen und das ist ja irgendwie immer sehr angenehm für Politiker*innen.

dakoraa: Ja, wir füllen da einfach jetzt irgendwie eine Technologie ein, die macht das dann, löst dann das. Das ist ja insgesamt auch so ein Thema, wo wir es jetzt hier gerne versuchen, mehr Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Es gibt keine Magie. Alle Probleme, die man lösen kann, brauchen irgendwie eine technische Lösung und das muss auch die richtige technische Lösung sein. Man kann nicht sagen, so, wir machen jetzt einfach hier Demokratie.exe und dann funktioniert das, sondern man muss sich schon überlegen, wie soll das auch funktionieren. Ja klar, wenn da so lauter alte Politiker\*innen sitzen, die sich einfach noch nicht umgestellt haben auf diese neue Welt und auch gar nicht verstehen wollen, was da vorgeht, ist natürlich schwierig.

khaleesi: Ich glaube, es sind noch nicht mal unbedingt alte Politiker*innen. Ich glaube, das Problem ist einfach, dass, das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich mache, ich weiß nicht, wie das bei dir ist, wenn ich irgendwie sage, ich bin InformatikerIn oder ich studiere Informatik, dann ist es in meiner Direktion so, wow, krass und das versteht ja eh keiner, was ihr da macht. Ich glaube, es fehlt da halt auch manchmal das Verständnis dafür, auch wenn wir Digital Natives sind, sind wir größtenteils oder große Teile davon sind halt einfach Nutzer\*innen und die wissen gar nicht, okay, wie ist das eigentlich historisch entstanden, warum ist das auch wichtig, dass bestimmte Architektur-Prinzipien beibehalten werden und warum macht das eigentlich das Internet aus und wenn wir das jetzt pullen, zum Beispiel sowas wie Netzneutralität, dann haben wir uns eigentlich das Internet kaputt gemacht. Das ist, glaube ich, so ein bisschen das Problem, das ist so das Verständnis, was da fehlt.

dakoraa: Das ist ja eine traurige Situation und finde ich es tatsächlich sehr, sehr wertvoll, dass ihr euch da immer auf die Weise einbringt und versucht, dieses Problem ein bisschen zu lösen. Du versuchst, das Problem auch auf andere Weise zu lösen, nämlich engagierst du dich bei den Computer Scientists for Future. Was versucht ihr bei den Computer Scientists for Future zu erreichen?

khaleesi: Die Idee hinter Computer Scientists for Future ist, dass sich im Bachelorstudium der Informatik sehr wenig mit der Verantwortung der Informatik für die Gesellschaft, aber auch für das Klima auseinandergesetzt wird und die Idee dahinter ist so ein bisschen, das in die Lehre zu integrieren und dass die Informatikstudent*innen aus ihrem Studium gehen und eine Idee davon haben und auch darüber reflektieren, was für einen Einfluss sie haben auf diese Welt und das halt entweder mit in die Wissenschaft oder auch in die Wirtschaft tragen.

dakoraa: Und wie bist du zu dem Thema gekommen? Also hast du quasi die Initiative mitgegründet oder wie ist das passiert?

khaleesi: Ich bin sozusagen bei der Gründung dabei gewesen, ich war nicht die Initiatorin. Mir ging es in meinem Informatikstudium immer so, dass mir das total gefehlt hat, dass ich immer gedacht habe, ja, privat beschäftige ich mich relativ viel mit Netzpolitik, aber mit meinen Kommiliton*innen, mit denen ich hier sitze, die machen sich da relativ wenig Gedanken drum und es ist auch so sehr auf Effizienz und Innovation getrimmt und es findet wenig kritisches Nachdenken darüber statt.

dakoraa: War das eine studentische Initiative oder haben da die Professoren gesagt, so das machen wir jetzt?

khaleesi: Das war tatsächlich eine Initiative von Studierenden und Professoren zusammen. Also wir haben einen Kommilitonen von mir, den Podcast, wo er das erzählt, können wir auch gerne nochmal verlinken, der ist sehr aktiv bei Fridays for Future und der ist zu ein paar Professor*innen hingegangen und hat gesagt, so ey, das wäre irgendwie voll cool, wenn wir hier eine Initiative hätten, die sich ein bisschen mehr damit beschäftigt und dann haben wir halt alle zusammen überlegt, was es halt sein könnte und sind dann da drauf gekommen, dass wir halt etwas, was halt eher in die Lehre integriert ist, total gut finden und so ist dann irgendwie dieses Projekt geboren worden.

dakoraa: Verstehe, das hört sich ja total spannend an. Was sind so die Themen, die dich persönlich da interessieren, also was ist die Kernnachricht, die du den Student*innen mitgeben möchtest da? 

khaleesi: Also ich glaube halt wirklich so dieses Thema, die digitale Welt hat so einen immensen Impact auf die Gesellschaft, und damit haben wir auch irgendwie einen Impact auf die Gesellschaft mit den Technologien, die wir entwickeln, und wir haben irgendwie die Aufgabe auch wirklich kritisch darüber nachzudenken, was wir da eigentlich tun und auch zu hinterfragen, also genau das, was du auch vorhin gesagt hast, was wir irgendwie der Politik als CCC auch häufig suggerieren, dass wir auch genau diese Denkweise auch in unsere Studien oder in unseren Berufsalltag mit hineinnehmen.

dakoraa: Und wie geht man da methodisch vor, also ist das so eine Art Kulturtechnik, die sich dann einfach etablieren muss, dass wir eben diese Fragen auch mitbedenken müssen, wenn wir eben im Job was bauen oder wenn Menschen eben ein Paper in der Informatik schreiben? Wie macht man das überhaupt, dass wenn ich irgendein komisches Thema habe, keine Ahnung, AI, künstliche Intelligenz, dass ich sage, ja, das ist jetzt eigentlich ein sehr wissenschaftliches Thema, wie mache ich das, dass ich quasi voraussage, was da eigentlich die gesellschaftlichen Folgen davon sein würden?

khaleesi: Also, ich sage mal, der klassische methodische Ansatz ist ja so ein bisschen Technikfolgeabschätzung. Das finde ich persönlich aber sehr schwierig, weil das häufig, also gerade bei Informatiker*innen ist es so dieses, okay, ich habe jetzt diese Box gecheckt und dann ist das Thema erledigt.

dakoraa: Wie funktioniert das Technikfolgenabschätzung, was ist quasi die klassische Vorgehensweise? 

khaleesi: Also, die klassische Vorgehensweise ist, man hat irgendwie eine Technologie und sagt, okay, was könnten die unterschiedlichen Bereiche sein, die davon betroffen sind? Wenn wir jetzt mal die Chatkontrolle nehmen würden, wäre ja sozusagen, was passieren würde: Alle Chats werden gescannt und das führt zum Beispiel zu einem Chilling-Effekt. Also, Chilling-Effekt bezeichnet dieses Phänomen, dass wenn ich weiß, dass ich beobachtet werde, dann fange ich an, mich selber zu zensieren in den Dingen, die ich tue. Das wäre jetzt so ein ganz einfaches Beispiel und da könnte man natürlich relativ schnell sagen, okay, das ist vielleicht eine doofe Idee.

dakoraa: Das heißt, das sind quasi einfach persönliche Erfahrungen?

khaleesi: Würde ich nicht sagen. Ich habe jetzt die Definition für Technikfolgeabschätzung nicht zur Hand, aber es ist ja auch schon sehr methodisch. Das ist halt so, wie man halt auch bei vielen wissenschaftlichen Projekten dann beim Ethikrat landet.

dakoraa: Das heißt, es ist dann eigentlich so ein strukturelles Ding, man tauscht sich dann eben mit so Menschen wie dem Ethikrat aus und geht dann auch davon aus, dass man über die Gruppe, die Community da schon auf Ideen kommen wird.

khaleesi: Genau, und das Problem ist halt, dass diese Technikfolgeabschätzung ja meistens gemacht wird, bevor die Technologie überhaupt entwickelt wird. Das heißt, man macht die einmal ganz zum Anfang und dann baut man halt diese Technologie.

dakoraa: Heißt, das ist im Grunde, also in der Informatik würde ich sagen, das ist so ein Waterfall-Prozess. Da plant man dann was und dann bereitet man es vor und dann implementiert man es und dann testet man es und dann ist man fertig. Und ich als Software-Ingenieurin kann dann natürlich sagen, dass es nie funktionieren wird und dass man heutzutage quasi auf agile Prozesse setzt, bei denen das alles gleichzeitig passiert und man immer wieder eben neu evaluiert, neu testet, neu plant und sich eben auch auf veränderte Umstände hin sich einstellt. Ich meine, auch in der Wissenschaft, wenn ich jetzt von vornherein was plane und das dann quasi auf die Gesellschaft loslasse und dann gar nicht mehr schaue, was ist eigentlich passiert, das ist jetzt auch nicht eine besonders wissenschaftliche Vorgehensweise, weil da denke ich mir ja was aus und schaue mir dann aber hinterher nicht mehr an, was für Effekte hatte das in der Praxis.

khaleesi: Ja, genau. Das ist halt wirklich so dieser Checkbox-Haken und dann ist das nicht iterativ, was ja total sinnvoll wäre, so in jedem Schritt immer wieder zu gucken, ist das jetzt schlecht, ist jetzt auch gerade wie wir das entwickeln schlecht, sondern es ist halt einfach nur am Anfang diesen Haken zu machen und dann danach eigentlich nicht wieder darüber zu reden, aber dann immer darauf Bezug nehmen zu können, zu sagen, naja, die Technik-Folgeabschätzung hat ja gesagt, das ist nicht so problematisch.

dakoraa: Ja, das heißt, das ist ja dann auch so ein bisschen eine Realitätsverweigerung. Ich checke das einmal und dann muss es mich aber eigentlich nicht mehr interessieren. Das ist irgendwie automatisch so ein verantwortungsloser Anspruch und ihr sagt dann quasi, das muss in einem kontinuierlichen Prozess passieren.

khaleesi: Genau, also unser Ansatz ist ja erstmal so ganz grundsätzlich, die Schwelle zu senken für Studierenden, sich damit zu beschäftigen, also so ein Informatikstudium ist in der Regel, wenn man versucht, das in Regelstudienzeit zu machen, sehr, sehr stressig. Das heißt, was können wir machen, damit Studierende sich damit beschäftigen? Naja, wir geben ihnen halt Credit Points für diese Themen. Das findet halt bei uns jetzt im Wahlpflichtbereich statt und im Seminarbereich, das heißt, das sind Module, die Studierende sowieso machen müssen und da haben wir zum Beispiel das Thema, wie Internetprotokolle sich auf Menschenrechte auswirken können, aber halt auch das Thema unter der großen Überschrift, wisst ihr eigentlich, was ihr tut, also so ganz philosophisch zu hinterfragen, was tun wir hier eigentlich und ist das eine gute Idee und darüber dann auch so ein bisschen, ich sag mal, zu triggern, dass Personen sich damit mehr beschäftigen und auch darüber hinaus beschäftigen und den anderen Teil, den wir halt machen, ist halt sozusagen Lehrhäppchen zu entwickeln, das heißt, dass wir kleine Einheiten schaffen, die in jedem Modul von unseren Lehrveranstaltung Platz haben, die dann vielleicht so ein oder zwei Sitzungen lang sind, so dass man halt einfach, wenn man den Standardweg wählt, gar nicht darum herumkommt, sich auch einmal mit, zum Beispiel, Ethik und künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen, oder was kostet eigentlich an Energie so ein Serverzentrum? 

dakoraa: Okay, das heißt, da bereitet ihr quasi die Information vor, dass sie dann eben auch von anderen Lehrenden benutzt werden kann. Hast du ein Lieblingsmodul oder ein Modul, an dem du da quasi selber viel gearbeitet hast?

khaleesi: Ich habe ein großes Herz für Regulierung und Standardisierung und dementsprechend war mein Lieblingsthema dieses Modul zum Thema Menschenrechte und Internetprotokolle tatsächlich.

dakoraa: Hast du ein bestimmtes Internetprotokoll genommen oder hast du dir einfach so die klassischen IP, TCP, UDP, also was man eben so landläufig verwendet, wenn man jetzt gerade ein Internetnutzer ist oder hast du dir modernere Protokolle angeschaut? Wie hast du das gemacht? 

khaleesi: Dieses Modul ist tatsächlich sehr offen gehalten. Wir haben tatsächlich so kurze Videos dazu produziert, wie so diese basic IP, TCP, also alles, was passiert eigentlich, wenn ich meinen Browser aufmache, Dinge funktionieren. Was mich da, glaube ich, besonders beschäftigt, ist natürlich, wie diese Standards funktionieren und wer sich da eigentlich einbringt in diesen Prozess. Das ist ja sozusagen in Anführungsstrichen alles ehrenamtlich, aber wir haben da halt das Problem, dass sehr viele große Unternehmen auch ihre Entwickler*innen dafür freistellen, an Protokollen mitzuarbeiten und auch da, gerade auch von deutscher Seite, nicht so viel Einbindung in der Zivilgesellschaft stattfindet. Andere Staaten haben zum Beispiel sogar eine Strategie und Ressourcen, die sie der Zivilgesellschaft zur Verfügung stellen, um an Internetstandards mitzuarbeiten.

dakoraa: Und dann geht es quasi darum, auch in Deutschland diese Strukturen zu schaffen, damit eben Menschen mitarbeiten können?

khaleesi: Also, wir machen das nicht und dieses Modul, How Internet Protocols Affect Human Rights, dadurch, dass das natürlich ein Bachelor-Seminar ist, beschäftigt sich einfach, also gibt erstmal nur diesen Denkanstoß, dieses, okay, die Protokolle, auf denen unser Internet basiert, können auch Menschenrechte im Zweifelsfalle beeinflussen.

dakoraa: Das ist also einfach quasi eine Bestandsaufnahme, was da so passiert ist. Das hört sich auf jeden Fall total spannend an. Wenn ich jetzt sage, ich bin Informatikstudentin und möchte das quasi lernen, was muss ich tun? Wie kann ich als Studentin Zugriff auf euer Lehrmaterial bekommen?

khaleesi: Also, das Lehrmaterial ist derzeit noch gar nicht online zugreifbar. Was wir haben, ist ein Podcast, in dem wir bisher viel mit unseren Professor*innen und auch Kommilitonen über diese Themen gesprochen haben. Genau, wir arbeiten gerade an einer Wissensdatenbank und ansonsten haben wir einen Mastodon- beziehungsweise Twitter-Account, wo wir ab und an auch Updates posten, wenn es Artikel zu bestimmten Themen gibt oder Projekte, an denen Studierende mitgearbeitet haben, die man sich anschauen kann.

dakoraa: Und wie heißt der Podcast?

khaleesi: Derzeit nur Computer Scientists for Future. Ich kann den dann gerne in den Shownotes verlinken.

dakoraa: Genau, und der Mastodon-Account heißt dann wahrscheinlich auch Computer Scientists for Future und wird dann natürlich auch in den Show Notes verlinkt. 

khaleesi: Genau. 

dakoraa: Was mich noch interessieren würde, wie ist eigentlich die Verbindung zu den Scientists for Future? Scientists for Future hätte ich jetzt so im Kopf, das ist ja quasi ähnlich wie Fridays for Future, die setzen sich eben auch für Klimaschutz und gegen die Klimakatastrophe ein. Also dafür, dass wir endlich mal was tun. Habt ihr dann auch diesen Klimafokus? Besteht da eine Verbindung zu den Scientists for Future?

khaleesi: Bisher nicht. Wir haben halt auch nicht ausschließlich diesen Klimafokus, sondern wir haben beschlossen, an den Sustainable Development Goals zu orientieren. Also das ist halt auch Klimaschutz, aber zum Beispiel auch Gendergerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, also alles Nachhaltigkeitsthemen in einem bisschen weiter gefassten Sinne.

dakoraa: Cool. Ich meine, ich finde es total wichtig, dass eben auch diese Initiativen bestehen. Wir als Haecksen, als Hacker*innen, haben uns ja immer auch eben für diese Themen interessiert. Und das ist ja auch wirklich ein Anliegen, dass diese Ansätze, wie ich eigentlich produktiv mit Technologie umgehe und diese Verbindung schaffe zwischen Technik, Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft, dass das mehr ankommen muss. Weil ich meine, diese Dinge werden immer mehr zu Kulturtechniken. Und ich bin mir sicher, es hat auch eine Zeit lang gedauert, dass Lesen und Schreiben sich als Technik wirklich für jeden Menschen etabliert hat, nachdem es ja im Buchdruck erfunden wurde, und solche Dinge. Aber ich meine, ich glaube, wir sind gerade auch so ein bisschen in dem Prozess einfach, dass sich Medienkompetenz und eben auch kritischer Umgang mit Technik als Kulturtechnik etablieren muss. Genau da finde ich es auf jeden Fall sehr, sehr lobenswert und sehr, sehr hoffnungsvoll, dass ihr euch so aktiv mit dem Thema beschäftigt. Insofern vielen, vielen, vielen Dank dir dafür, dass du dich da einsetzt. Hast du noch ein Statement oder irgendwie eine Kernforderung oder eine Aufforderung, die du gerne loswerden würdest in Bezug auf Computer Scientists for Future?

khaleesi: Vielleicht eine ein bisschen generelle Botschaft zu diesem ganzen Thema Informatik und Gesellschaft. Viele Personen, gerade die sich mit Technologien gut auskennen, haben häufig diese Brille auf und sagen dann, ja, dann setze ich mir halt einen eigenen Server auf und dann betrifft mich das alles nicht mehr. Und ich glaube, wir müssen wirklich zusammen daran arbeiten, dass wir das in Zukunft so gestalten, dass das auch für alle accessible – mir fällt kein gutes deutsches Wort dafür ein – ist und dass auch die gesamte Gesellschaft halt Privatsphäre-freundliche Lösungen hat und vielleicht auch Zugriff auf nachhaltige Lösungen und dass es nicht nur uns, als, ich sag mal, Techniker*innen, vorbehalten bleibt, weil wir wissen, wie man den Kram baut und aufsetzt und benutzt, sondern dass es so ist, dass es für alle da ist.

dakoraa: Ich würde sagen, das war das Schlusswort. Danke dir, Khaleesi, für die wichtigen Worte. Ich würde sagen, wir sehen uns wieder demnächst, weil ich habe mit Khaleesi noch ein anderes Thema zu besprechen, die hat mir nämlich gesagt, dass sie olympische Gewichtheberin ist. Eigentlich ist das auch immer das Thema, das ich bei Khaleesi als erstes im Kopf habe, weil mich das so beeindruckt hat und wenn ihr jetzt auch ein bisschen angefixt seid und mehr über olympisches Gewichtheben, Strandsegeln und Ballett erfahren wollt, müsst ihr einfach in die nächste Folge, die wir dann gemeinsam demnächst raushauen, reinhören. Vielen Dank heute schon mal fürs Dasein, Khaleesi, und bis bald.

khaleesi: Bis bald.