hckn008: Sich politisch bilden (politische Bildner*in Teil 2)

Willkommen zu einer weiteren Folge Haecksenwerk! 
Haecksenwerk ist das Podcastkollektiv der Haecksen. Es geht um die ganze Bandbreite von Technik, Kultur und Feminismus. In unserem Podcast möchten wir Einblicke in Themen geben, die uns bewegen.

Dakoraa spricht mit Buecherwurm. Sie ist politische Bildner*in mit Schwerpunkt auf diskriminierungskritischer Bildung. Diese Folge ist der zweite Teil des Gespräches. Sie reden über Diskriminierung, sekundäre Viktimisierung, Ring Theory (also wie sollte ich mich verhalten wenn ich weniger betroffen bin) und Antidiskriminierungsarbeit als selbst gering Diskriminierte*r.

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Stichworte

Politische*r Bildner*in, diskriminierungskritische Bildung, Antidiskriminierungsarbeit, Arbeitsalltag

Credits

  • Redaktion: dakoraa
  • Sprechende: dakoraa, buecherwurm
  • Weitere Stimmen: Sylvia
  • Produktion: dakoora
  • Coverart: https://mullana.de/

Transkript

dakoraa: Leute Hallo, schön, dass ihr da seid beim Haecksenwerk Podcast. Ich bin dakoraa und heute gibt’s Teil 2 meines Gesprächs mit buecherwurm über politische Bildung. Im Teil 1 haben wir über das Berufsbild über die politischen Bilder*in gesprochen. Da ging es also darum wie wird man das, was macht eine politische Bilder*in eigentlich so? Und heute geht es dann tatsächlich um politische Bildung und Diskriminierung selbst. Buecherwurm hat viele spannende Sachen gesagt, aber es wurde bei Zeiten auch relativ krass was die Themen angeht. Am Anfang haben wir über die Initiative “Keupstraße ist überall” gesprochen. Da geht es um rechte Gewalt. Im folgenden Segment “sekundäre Viktimisierung” geht es um sekundäre Viktimisierung. Im Segment “Ring Theory” habe ich dann noch das Beispiel von Familienmitgliedern die Krebs haben benutzt, das war eigentlich tatsächlich nur ein Beispiel, wir sind da nicht ins Thema gegangen. Kapitelmarken sind entsprechend gesetzt, d.h. wenn euch einzelne dieser Themen zu sehr belasten, dann könnt ihr die mit einem guten Podcatcher einfach überspringen.

Jetzt geht’s aber los. Und wir steigen mit der Frage ein wie buecherwurm eigentlich zum Aktivismus gekommen ist. 

buecherwurm: Ja. Also ich war bei verschiedenen Gruppierungen und in verschiedenen Themenfeldern aktiv aber was für mich so die wichtigste Organisation in meinem politischen Leben war ist die Initiative “Keupstraße ist überall”. Das ist eine Gruppe die sich gegründet hat als rausgekommen ist, dass es eben den nationalsozialistischen Untergrund gab und dass der für den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstrasse auch veranwortlich war. Und als dann klar wurde, dass es einen Prozess geben würde und die Betroffenen aus der Keupstrasse da auch aussagen sollten und da haben eben Menschen aus Köln zusammengetan und haben gesagt “wir wollen die Menschen begleiten wenn sie nach München zum Prozess fahren, und wir wollen für sie da sein, wir wollen sie von aussen supporten und unterstützen”. Und ja, da hat sich einige Jahre bevor es dann tatsächlich so kam, dieser Tag der Aussagen, oder wo die Aussagen begannen, eine Gruppe gefunden die kontinuierlich zusammen gearbeitet hat und eben auch versucht hat zu schauen, welche Bedarfe gibt’s denn bei Betroffenen aus der Keupstrasse, was braucht’s denn da, und wie können wir einfach auch in der Stadt und darüber hinaus auf die Situation der Betroffenen nach dem Anschlag aufmerksam machen, und wie können wir dazu beitragen, dass sich eben auch in der Stadt Menschen damit auseinander setzen, dass es diesen Anschlag gegeben hat. Und dass da erstmal in die völlig falsche Richtung ermittelt wurde. Dass Menschen, ja, Erfahrungen von einer sekundären Viktimisierung gemacht haben. Also durch die Ermittlungen wieder zusätzlich zum Opfer gemacht wurden, Verletzungen, Traumatisierungen durch die Ermittlungen erfahren haben, weil man ihnen eben auch nicht zugehört hat, nicht geglaubt hat als sie gesagt haben, dass sie glauben, dass das Nazis waren. Und, ja, für all das in der Stadt auch ein Bewusstsein zu schaffen, bzw. dazu beizutragen, dass in der Stadt ein Bewusstsein geschaffen wird. Und es zu verknüpfen mit dem konkreten Projekt der Begleitung der Betroffenen zum Prozess. Das war eine sehr, sehr wertvolle und spannende Erfahrung dort mitarbeiten zu können, die ich da gemacht habe. 

dakoraa: Die sekundäre Viktimisierung. Ich habe immer gelernt, dass es ein ganz wichtiges Thema ist. Möchtest du darüber kurz reden was das eigentlich ist und wie das zustande kommt?

buecherwurm: Ganz grob gesagt bedeutet das, dass Menschen eine Diskriminierung erleben und der Umgang ihres Umfelds im näheren oder im weiteren Sinne dazu führt, dass es halt nochmal eine Verletzung gibt. Also statt gestärkt zu werden und statt gemeinsam diese Verletzung irgendwie bearbeiten und dazu beizutragen, dass sie geheilt wird, werden Wunden wieder aufgerissen um in diesem Bild zu sprechen, bzw. Menschen wird nicht geglaubt, Menschen wird unterstellt, dass sie sich nur wichtig machen wollen, oder dass sie sich was einreden, oder dass sie sich in den Mittelpunkt stellen wollen, was auch immer. Und das kann sehr sehr unterschiedlich sein wie sich das äußert, das kann auch sowas sein wie, “naja, du bist ja selber schuld” oder “du hast es doch verdient wenn du dich so und so verhältst”. 

dakoraa: Victim blaming…

buecherwurm: Genau. 

dakoraa: … ist so da das Schlagwort. 

buecherwurm: Genau. Da wäre Victimblaming das Schlagwort. Aber eben auch um jetzt nochmal zu dem Kontext Keupstraße zu gehen: Da war das halt so, dass erstmal sehr sehr stark in dem Umfeld der Betroffenen selber ermittelt wurde, es wurde ihnen alles mögliche unterstellt. Man hat eigentlich jegliche Theorie für plausibel gehalten was dahinter stecken könnte hinter diesem Anschlag, außer eben, dass es weiß-deutsche Neonazis gewesen sein könnten. Es wurde Betroffenen bei der Aussage der Mund verboten, also es wurde ihnen gesagt, dass sie sowas nicht mehr sagen sollen, was ihre Verdächtigungen angeht. Sie wurden als Täter*innen behandelt usw. Und ja, das hat eben zu so einer zusätzlichen Traumatisierung geführt. Und das wird auf der Keupstraße auch teilweise als Anschlag nach dem Anschlag bezeichnet, also diese ganzen rassistisch geprägten Ermittlungen. Und dann ist da ja eine ganze Weile vergangen bis dann der NSU sich selbst enttarnt hat. Und diese ganze Zeit der Enttarnung war dann wieder eine starke psycchische Belastung für die Betroffenen. Und nachdem dann der erste Trubel was das anging auch vorbei war und klar war, die Betroffenen können Aussagen vor Gericht als, ja, Nebenkläger*innen, war auch wieder klar auch das wird wieder eine Belastung sein. Sich den Fragen zu stellen, sich aber auch der Situation zu stellen vor Gericht dann, ja, Täter*innen und Unterstützer*innen der Täter*innen in die Augen zu schauen, oder überhaupt gegenüber zu stehen. Und das waren alles Situationen wo wir halt als Initiative “Keupstrasse ist überall” gesagt haben wir wollen irgendwie dazu beitragen es für die Menschen leichter zu machen. Von angenehmer will ich da gar nicht reden, weil das weit davon entfernt angenehm zu sein. Aber ja, soweit es halt möglich ist dazu beizu– 

dakoraa: nicht ganz so schrecklich 

buecherwurm: ja

dakoraa: ein bisschen weniger schrecklich, so gut es geht 

buecherwurm: ja

dakoraa: Ich finde das ja ein ganz schön krassen Zusammenhang. Da passiert so Leuten da passiert so fürchterliche Gewalt tatsächlich, und hinterher, weil die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht wahrhaben möchte, dass es rechten Terror gibt. Oder weil die Politik es nicht wahrhaben möchte, stellt die sich einfach so auf den Standpunkt “ja nee, das muss ja irgendwie ausgedacht sein” oder “es muss ja falsch sein” und so und eigentlich sind ja diese ganzen — also, das ist ja eigentlich wieder der Selbstschutz quasi. Also ich möchte mich nicht damit auseinander setzen, dass es rechte Gewalt in Deutschland gibt, dass rechte Terrorgruppe gibt also blende ich das einfach aus. Das find ich krass. Und das ist so dieses Gefühl, das glaubt niemand, das erzeugt ja auch nochmal so ein Gefühl von Angst, weil dann eben die Leute irgendwie. Also wer sagt eigentlich, dass eins sicher ist, wenn die ganzen Leute um einen rum sagen “nee, das ist gar nicht passiert”. Also dann können die ja logischerweise gar nicht die Schritte ergreifen um zu verhindern, dass sowas nochmal passiert. 

buecherwurm: Und das sind eben auch alles Facetten davon, was ich in meiner Bildungsarbeit versuche zu vermitteln, was da halt alles so dazu gehört. Und das klar, auf der einen Seite so diese ganz alltäglichen Sachen das eine sind. So diese Mikroaggressionen und diese gar nicht böse gemeinten Sachen und es dafür gilt eine Sensibilität zu entwickeln. Aber dass halt, ja, durchaus auch bis zu staatlichem organisiertem Handeln gehen kann. Und dass es da einen Zusammenhang dazwischen gibt. 

dakoraa: Strukturelle Diskriminierung nennt man das. Also wenn der Staat vielleicht nicht Gesetze hat, die dafür sorgen dass also die explizit sagen es wird diskriminiert, aber wenn die Institutionen vom Staat so aufgebaut sind, dass Diskriminierung da im Großem Platz hat, einfach darüber wie die Strukturen sind. Das ist dann so ein bisschen verdeckter, aber das findet auch statt. 
Krasses Thema, sehr sehr krasses Thema. Danke dass du das auch nochmal angesprochen hast. Ich finde es wichtig da auch manchmal darüber zu reden, dass diese Viktimisierung durch die Prozesse die unser Strafrecht hat und die die Öffentlichkeit erzeugt, dass die auch nochmal schrecklichen, schrecklichen Schaden zufügen und schrecklich weh tun. 

Wir haben ja bereits besprochen, dass du quasi zwei unterschiedliche Alltage hast. Auf der einen Seite die, wo du nach draußen gehst und Veranstaltungen mit anderen Menschen machst. Und auf der anderen Seite die Alltage, wo du Administration machst, das auch, aber auch vor allem dich selbst in Bezug auf solche Themen weiterbildest. Jetzt würde mich ja interessieren, buecherwurm wie machst du das eigentlich dich selbst in Bezug auf solche Themen weiterzubilden? 

buecherwurm: Bei mir besteht es aus mehreren Teilen. Wie vielleicht auch mein Nickname auch schon verrät lese ich sehr gerne und sehr viel. Und ich versuche, ja, möglichst viel was so zu verschiedensten Diskriminierungsformen publiziert wird zu lesen und mir auch ein Stück weit zu erarbeiten was da so gesagt wird. Aber ich versuche natürlich auch auf Blogs und auf Twitter viel Sachen, ja, Perspektiven mitzunehmen wo Menschen von Betroffenheiten berichten, aber auch was Analysen bezüglich verschiedenster Diskriminierungsverhältnisse angeht. Und ich versuche dann schon auch mich mit Sachen zu beschäftigen wo ich erstmal so denke “uh, das klingt irgendwie seltsam” oder wo ich sofort denke da muss ich jetzt aber widersprechen “oh nee, dass ist jetzt aber wirklich ein bisschen sehr kleinteilig”. 

dakoraa: Wo der eigene Widerstand so angeht? 

buecherwurm: Genau. Also meinen eigenen Widerstand auch zu erkennen und mich dann damit auseinanderzusetzen. Und vielleicht auch mit Menschen da drüber zu reden, also mit Menschen die auch Bildungsarbeit machen oder mit Menschen mit denen ich ein gutes Verhältnis habe, bzw. ich suche auch immer wieder Austausch mit Freund*innen oder Kolleg*innen, die selber von Diskriminierung betroffen sind, um Gedanken auszutauschen, um auch Perspektiven einzuholen, um, ja, zu schauen was sind denn wichtige Punkte in der Bildungsarbeit rund um diesem Thema. Und ich setze mir selber da schon auch immer die Aufgabe wenn mir Menschen sagen, dass ich sie diskriminiert habe, dass ich mich diskrimierend verhalten habe, mich da dann wirklich auch mit auseinander zu setzen und das anzunehmen. Und im Nachgang auch viel darüber nachzudenken wie hätte ich mich da anders verhalten können. Oder auch sagen die ich gesagt habe, oder Sachen die ich gemacht habe nachträglich darauf abzuklopfen: War das jetzt eigentlich so wie ich mir das auch vorstelle und wie mein Anspruch daran ist? Und wo habe ich da jetzt vielleicht doch zu, ja, paternalistisch oder zu sehr für eine Betroffengruppe der ich nicht angehöre gesprochen. Wie kann es mir noch besser gelingen meine Position da drin deutlicher zu machen, oder wo kann ich eben auch noch an andere Personen und Strukturen verweisen, die für Empowerment z.B. ein besseres, ein sinnvolleres Angebot haben. 

dakoraa: Das hört sich ganz schön anstrengend an sich mit genau den Themen zu beschäftigen, bei denen man selbst sich möglicherweise auch diskriminierend verhalten hat. Wie geht man mit sowas emotional konstruktiv um?

buecherwurm: Naja ich glaube viel, oder was heißt viel, aber ich glaube einige Dinge die vielleicht auch zu belastend wären, oder die zu weh tun würden sehe ich dann selber gar nicht um muss vielleicht auch drauf hingestubbst werden. Also ich bin sehr sicher, dass ich da auch mich selbst genügend austrickse, ja um eher an den Stellen zu gucken wo es nicht ganz so weh tut, aber ich versuche schon auch, wenn ich Seminare vorbereite und da so Selbstreflexionen z.B. habe, diese Sachen auch immer wieder für mich selbst zu beantworten. Und auch selbst zu schauen, wo profitiere ich denn von einem bestimmten Diskriminierungsverhältnis, wo ruhe ich mich auch auf Sachen aus. Und das was mich halt immer wieder dazu animiert weiterzumachen, auch wenn ich mich manchmal über Rückmeldungen ärgere, oder wenn ich merke “och shit, das war richtig blöd wie ich mich da ausgedrückt habe”, ist so dieses Ding von es ist einfach total wichtig, dass diese Gesellschaft sich mit Diskriminierung auseinader setzt. Und es muss soviel wie irgendmöglich dadrin passieren, und ich bin Teil dieses Machtverhältnisses, oder dieser verschiedenen diskriminierenden Machtverhältnisse und deshalb habe ich eine Verantwortung dadrin. Und wenn ich Menschen dazu kriege sich selbst auch damit auseinander zu setzen und Dinge zu refektieren und ihre Verantwortung anzuerkennen, dass sie etwas an sich selbst verändern müssen, dass sie aber auch was sagen müssen wenn ihnen das begegnet oder ihr eigenes Verhalten überdenken, oder ihre Organisation anders aufstellen müssen, dann empfinde ich das als total wertvoll. Und als was wo ich auch, ja, sage OK dann lasse ich mich mal von einer Person als verstockt und als über-PC und als social justice warrior und als was weiß ich was noch — 

dakoraa: Das ist ja auch, also das ist ja auch wirklich verwerflich für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Also das steckt ja schon voll in dem Wort drin, dass social justice warrior, das muss ja notwendigerweise was schlechtes sein. Also ich bin jetzt natürlich ironisch. Aber das finde ich doch immer wieder beeindruckend, dass Leute denken mit social justice warrior damit kann ich sie jetzt aber kriegen. 

buecherwurm: Ja. 

dakoraa: Ich persönlich denke mir dann ja irgendwie auch also es ist ja schon auch so eine verflixte Situation in der man da steckt. Man versucht irgendwie, also irgendwie die Leute die sich mit sowas beschäftigen, das sind ja auch üblicherweise Leute, die irgendwie tatsächlich an ein Menschen zugewandtes Bild — also so Menschen zugewandte Werte in ihrem Inneren tragen. Also das sind meistens irgendwie linke Leute die, auf einer Ebene irgendwie — Also es gibt natürlich irgendwie auch welche die da irgendwie nur Blender sind und so, aber das sind glaube ich gar nicht so viele, sondern es gibt echt viele Leute die wollen auch einfach irgendwie das Richtige machen. Und dann sind Leute wie du die diese Arbeit die ganze Zeit irgendwie in dieser Position eigentlich diese Gesellschaft, die — also die ganze Zeit sich dem auszusetzen, auch wo sie irgendwie einfach die Gesellschaft mitgenommen haben und so. In unserer modernen Welt ist es an ganz vielen Stellen so, dass diese Realtität da draussen existiert, die unfassbares Leid anrichtet, egal was man tut. Und dass man erstmal daran nicht so viel ändern kann. Und das ist ja irgendwie, also das überhaupt zu spüren und irgendwie das auch so aktiv in seine tägliche Wahrnehmung reinzuholen. Weil das ist ja auch was du da machst. Also du gehst hin und schaust dir das an und erinnerst dich aktiv daran, dass ist ja, also das ist ja auch schonmal krass. 

buecherwurm: Ja das klingt jetzt so ein bisschen selbstaufopferungsvoller als ich das selber formulieren würde. Natürlich kommt’s da auch immer wieder zu Situationen die weh tun, aber ich denke mir dann, dass anderen Menschen viel mehr wehgetan wird. Und ich, ja, da einfach was entgegen setzen möchte. Gar nicht so sehr um irgendwie Menschen zu retten oder so, sondern weil ich einfach denke, dass diese verdammte Gesellschaft Dinge verändern muss. Und da schon manchmal auch so eine Wut daraus spricht, die ich im direkten Seminarkontext natürlich nicht zu zeigen versuche, sondern da eher auch für Verständnis und eingehen auf Menschen stehen möchte, aber das ist auf jeden Fall was, was so ein Motivator für mich ist. 

dakoraa: Gerade hatten wir das Thema wie wir selbst damit emotional damit umgehen können dass wir selbst auch diskriminieren. Jetzt würde mich interessieren, was können wir eigentlich tun um diejenigen zu unterstützen, die stärker von Diskriminierung betroffen sind, als wir selbst? 

buecherwurm: Ich finds super wichtig in Situationen wo Betroffene oder potentiell Betroffene da sind und ne Diskriminierung geschieht, die Personen auch zu fragen was sie gerade brauchen, also ob sie gerade Unterstützung haben möchten und nicht einfach nur für sie zu handeln sondern halt ihnen, soweit es irgendwie möglich ist, ja , das Gefühl geben selbst entscheiden zu können was gerade passiert und sie nicht zusätzlich noch zu bevormunden, aber zum Beispiel auch zu signalisieren, dass ich da bin. Oder das ich auch für ein Gespräch zur Verfügung stehe .. danach. Dass es aber auch total wichtig ist, dass es berechtigt ist ne Erfahrung irgendwo auch nochmal zu teilen, also wenn in, zum Beispiel, nem öffentlichenVerkehrsimittel ne Diskriminierung geschehen ist und ne Person, die dort Beschäftigt war das mitgekriegt hat aber nichts gemacht hat, dass es dann durchaus legitim ist sich an das Unternehmen zu wenden und zu sagen Das und Das ist passiert und das ist nicht in Ordnung, weil eben doch ganz schnell das eigene Kleinreden da ist, “Das war alles nicht so schlimm”, oder “Es ist alles…Ich will da jetzt garnicht so eine große Sache daraus machen”, also da möchte ich zum Einen dazu ermutigen, dass das durchaus legitim ist, das viellicht auch zu unterstützen, aber vorallem halt auch da wieder die andere Seite zu sensibilisieren. Also, nur weil ich als weiße Person der Meinung bin, ich sehe keinen Rassismus heisst es nicht, dass es ihn nicht gibt, weil ich ihn einfach aufgrund meines äußeren Erscheinungsbilds garnicht zwangsläufig, also garnicht erfahre und damit garnicht zwangsläufig mitkriege. Und erst wenn ich mir gewahr werde, dass andere Menschen ihn aber … sowohl erleben kriege ich eine Perspektive dazu was eigentlich in unserer Gesellschaft so im Alltag passiert.

dakoraa: Und wenn ich irgendwie das Leid was da an Menschen verübt wird nicht sehe, dann kann ich da ja auch nichts dagegen tun. Und dann entsteht ja vielleicht auch wieder son Gefühl “Ey mir passiert ja ne Scheisse und das sieht nicht mal jemand, also gibts da auch überhaupt keine Chance dass es besser wird”.Und dann irgendwie hinzugehen und zu sagen “Ey, ich biete dir Unterstützung an, wenn du sie haben möchtest von so ner take-it-or-leave it stance” das sagt ja dann zumindest schon mal, “Du bist hier nicht komplett alleine”. So. Deswegen ist dieses mit “Ich sehe Marginalisierung nicht” ist ja eigentlich garnicht nicht so ne …. gute Position auf die man sich stellen kann, weil sie eben auch völlig … weil sie es völlig unmöglich macht was dagegen zu tun. Es gibt da einen spannenden Ansatz, den ich gerne mit euch teilen würde. Und zwar die Ring Theory von Susan Silk. Es gibt ja diese emotionale Belastung die da passiert und wenn jetzt, keine Ahnung, Familienmitglieder von mir Krebs haben oder so, dann geh’ ich vielleicht nicht zu dem Familienmitglied hin, das gerade Kreb shat und sag’ “Hier das belastet mich jetzt aber, dass du Krebs hast”. Weil das wäre ja irgendwie uncool. Also vermutlich belastet es die ja noch mehr. Und wenn … das jetzt mein Onkel ist, dann geh’ ich vielleicht auch nicht zur Tante hin und sag’,  “Ey mich belastet das so sehr, dass der Onkel Krebs hat”, weil sie es vermutlich mehr belastet als mich. Aber ich kann ja durchaus hingehen zu einer Person die tendenziell weniger betroffen ist.
Zu einem Freund hingehen und sagen “Ey, das belastet mich, dass ein Familienmitglied von mir Krebs hat”. Und dann ist das ja auch voll legitim mir den emotionalen Support zu holen. Ich sollte mir halt den emotionalen Support von Leuten holen die nicht notwendigerweise noch stärker betroffen sind. Also keine Ahnung, wenn es jetzt um Sexismus geht, dann sollte ein Typ vielleicht nicht zu einer Frau hingehen und sagen “mich belastet Sexismus so sehr”, sondern eben immer versuchen Leute zu finden die auch die Kapazität haben diesen emotionalen Support zu geben. Und das ist ganz oft das Gefühl was ich bei diesen Debatten habe, also es geht dann ganz oft darum irgendwie mit wem man da redet sollte und ganz oft ist es einfach so von wem kann ich mir eigentlich den emotionalen Support holen der weniger betroffen ist als ich, die auch irgendwie tatsächlich die Kapazität dazu haben, anstatt Betroffene noch mehr Arbeit aufzubürden. Also mit Behinderungen oder mit Krankheiten ist es ganz oft so, dass dann irgendwie so den kranken oder behinderten Menschen irgndwie dann auch noch von aussen “es belastet mich so, dass du krank bist!” ich… boah mich auch, aber ey, wieso redest du halt mit mir und so. Ich persönlich versuche dann wenn es bei mir mit anderen Leuten, also wenn ich mit anderen Leuten umgehe dann irgendwie mir auch zu überlegen, wie kann ich jetzt hier eigentlich irgendwie eine Gemeinsamkeit herstellen und so, zu sagen ich sehe was dich belastet, ich merke das, ohne denen jetzt auch noch meine Emotionen aufzubürden, sondern da tatsächlich so das Gefühl entstehen zu lassen wir sind da gemeinsam, also wir können versuchen es gemeinsam zu machen, ohne es den Leuten aufzuzwingen. Weil irgendwie ist es halt immernoch ihre Wahl. Ich kann halt Leuten anbieten, hier du kannst von mir emotionalen Support haben wenn du den möchtest, aber ob die den dann annehmen, ist ihr gutes Recht das zu tun oder nicht zu tun. 

buecherwurm: Ja und das würde ich für meine Arbeit da auch sagen, wieso sollte ich von einer speziellen Diskriminierungsform nicht betroffene Person nicht dazu arbeiten und bei andere in ihrem Reflektionsprozess als selber Nichtbetroffene nicht begleiten können. Also es müssen ja auch nicht selbst Betroffene sich das auch noch aufbürden. Klar, es ist eine Frage von Menschen das wollen und wo es auch um materielle Resourcen geht gar keine Frage, aber gleichzeitig finde ich es auch eine Verantwortung aus einer nicht betroffenen oder nicht spezifisch betroffenen Position heraus da zur Verfügung zu stehen um halt Ideen zu entwickeln, um vielleicht auch mal nicht ganz so einfache Diskussionen zu führen, wieso eine bestimmte Aussage eben verletzend sein kann, und eine Diskriminierung ist. Das kann ich ja manchmal auch leichter aus einer nicht direkt betroffenen Perspektive oder anders, vielleicht nicht leichter, aber anders. Und das wiegt es aber natürlich nicht auf, dass Betroffene zu ihrer spezifischen Betroffenheit und zu der Diskriminierungsform eben auch gehört werden müssen. Und es eben auch wichtig ist Menschen dazu zu bringen, dass sie da zuhören und dass sie das ernst nehmen was gesagt wird. 

dakoraa: Dieser emotionale Prozess auch bei Leuten die irgendwie krass sexistisch sind, der muss ja irgendwie passieren. Also da muss ja irgendwie ein emotionaler Prozess passieren, und ich persönlich stelle mich auch auf die Position dass ich sage ich finde es gut, wenn da irgendwie diese Leute bei diesem Prozess emotionalen Support bekommen weil es dann effektiver ist. Rein aus so einer Utilitarismus-Perspektive: Ey, wir befinden uns nicht in einer Gesellschaft in der wir Sexismus einfach so abschaffen können, sondern das existiert jetzt halt erstmal und ich finde alles gut, was dafür sorgt, dass es weniger wird und so. Und wenn dann nicht ich, also wenn dann nicht Frauen diese Arbeit machen müssen diesen emotionalen Support zu leisten, dann ist das genau das richtige. Was man dann eben da nicht möchte ist dieses quasi für Frauen dann einfach zu sagen: Nee, ich kann das jetzt vollständig machen, boah ey, also ich bin so ein cooler Dude, so dass ich quasi eigentlich schon genau weiß was Frauen eigentlich wollen und was für Frauen genau richtig ist und erhebe mich dann wieder so, also ich spreche dann für die nicht nur im Sinne von Advocacy, also dass ich als Advokat für sie auftrete, sondern dass ich als komplett für sie spreche und ihnen auch sage was sie eigentlich wollen. Und das ist immer so ein krasses Spannungsfeld was irgendwie glaube ich auch so den Kern von dieser Art von wie man sich eigentlich mit Marginalisierung auseinander setzt. 

buecherwurm: Also es ist ja auch um das  nochmal auf den Seminarkontext zu übertragen, natürlich kann ich mit  einer Gruppe mögliche oder mehrere Handlungsoptionen erarbeiten in einer  konkreten Situation. Aber was dann in der Situation dann das “richtige”  Handeln ist, das kann dann halt erst in der Situation entschieden  werden. Und wenn da halt eine betroffene Person da ist, dann liegt das auch in ihrere Hand zu sagen, was ist denn jetzt die für mich beste Handlung von Verbündeten. Aber ich kann halt trotzdem vorbereitend mit Menschen überlegen welche Handlungsoptionen gibt’s denn, und ich muss nicht darauf warten dass eine direkt betroffene Person mir sagt “jetzte mache bitte das und das” oder “jetzt wäre mal Zeit zu handeln”, sondern ich muss halt auch da wieder die Veranwortung übernehmen, dass ich mich verpflichtet fühle oder dass ich mich verantwortlich fühle zu handeln. Und das ist was, was für mich so der zentrale Bestandteile in all diesen Seminaren ist. Und ich hatte einmal so eine Situation mit einer Person, die sich vorher noch gar nicht so viel mit Rassismus und Diskriminierung beschäftigt hat und dann haben wir uns die verschiedenen Ebenen von Diskriminierung angeschaut, also sowohl die individuelle, also was ist bei mir und in der Interaktion mit einer konkreten anderen Person, was ist auf einer strukturellen also gesellschaftlichen Ebene, und was ist auf so einer ideologisch diskursiven Ebene, also Sprache, Medien, Bilder und so in Bezug auf Diskriminierung. Und die meinte irgendwann “Boah, ich habe gerade gecheckt, das ist ja einfach überall! Und das ist allumfassend! Und das ist gerade für mich eine total wichtige Erkenntnis!” Und ich fand das so eine gute Situation und auch so eine mutige Aussage, weil für mich da auch rauskam sie reproduziert jetzt nicht nur gerade, dass es gerade angesagt ist zu sagen das ist allumfassend, sondern für sie war das gerade eine Erkenntnis wie das auch alles zusammenspielt. Und dass es eben halt nicht reicht zu sagen “Ok, dann benutze ich jetzt halt dieses Wort nicht mehr”, oder “dann trage ich das Kostüm nicht mehr”, oder “wenn in der Bahn jemand angemacht wird sage ich was dazu”. Sondern dass es halt viel viel umfassender ist. Und ja, das ist so ein Prozess und so eine Erfahrung die mich immernoch total berührt wenn ich daran denke. 

dakoraa: Ja, und dann gibt es dann natürlich auch diesen Punkt wo man dann versteht, es gibt keinen Weg wie alles wieder gut wird, weil diese Welt halt einfach nicht gut ist. Sondern man muss dann halt sich überlegen, wie gehe ich mit einer Welt um, in der auch Leid passiert. Also wie kann auch ich selber in einer Welt leben in der ganz viel Leid eistiert ohne es irgendwie zu versuchen zu verstecken oder zu verneinen, aber auch ohne irgendwie selber daran zugrunde zu gehen emotional, weil das bringt ja auch niemandem was. Also mir persönlich als Frau oder Autistin bringt es halt nichts wenn Männer oder neurotypische Menschen sich dafür schlecht fühlen dass es Ableismus gibt oder Sexismus. Sondern ich möchte halt, dass sie was tun. 

Wir haben eine Publikumsfrage. Grüß dich Sylvia, was ist deine Frage? 

Sylvia: Also was mich brennend interessiert, auch auf die aktuelle Situation gemünzt, mit Covid mit dem Einfluss auf uns, teilweise rechten Gruppierungen, was ja signifikant ist. Hast du damit irgendwas zu tun? Oder inwiefern kommt dir sowas mal unter und ist das für dich überhaupt ein Thema? Weil ich finde es ist einfach ein Thema, ne?

buecherwurm: Ja. Ich verfolge das mehr oder weniger aus der Ferne. Vor Corona habe ich mir solche Veranstaltungen auch selber angeschaut aber gerade aufgrund, ja, der Kontaktreduzierung mache ich das nicht. Und ich versuche aber einen Überblick zu behalten was da gerade passiert, lese allerdings nur sporadicsh Telegram-Sachen und stattdessen mehr über das was da berichtet wird. Und mache jetzt so im letzten Jahr auch immer wieder Vorträge wo es um Hintergründe von Verschwörungsideologien und Verschwörungsdenken geht, und auch Argumentationstrainings und Handlungstrainings wo es darum geht wie kann ich mich denn verhalten, wie kann ich mich positionieren. Welche Möglichkeiten der Intervention habe ich, wenn in meinem Umfeld eine verschwörungsideologische Aussage getätigt wird, oder diskriminierende Aussagen im Kontext Corona geäußert werden. Es gibt da natürlich keine Wundermittel und keine Allheilmittel. Aber ich habe schon das Gefühl, dass es Menschen hilft einfach Dinge ausprobieren zu können und sich mit andern auszutauschen: “was hast du denn in einer vergleichbaren Situation gemacht?” Da gibt es einfach auch einen großen Bedarf auch für sich selber rauszufinden wo liegen denn meine Grenzen? Bis wohin bin ich denn noch bereit mich in eine Kommunikation mit einer Person zu begeben, ab wo macht’s aber auch keinen Sinn mehr. Also wie tief muss eine Person drin sein wo ich dann sage “Ok, nee, das ist jetzt Zeitverschwendung da noch irgendwas zu versuchen” bzw. ich versuche in den Seminaren dann auch immer darauf hinzuweisen es geht gar nicht zwangsläufig nur um die Person die eine bestimmte Aussage tätigt, sondern es geht immer auch um die Personen die das mitkriegen, die eben auch Zielgruppe meines Handelns sind. Und ich kann dann eben auch die überzeugen, oder ich kann dazu beitragen, dass Menschen nicht zusätzlich verletzt werden, oder ich kann durch meine Positionen und durch meine Haltung eben auch dazu beitragen, dass Sachen zumindest nicht unhinterfragt und unwidersprochen stehen bleiben. 

dakoraa: Also so dieses Themenfeld wie gehe ich eigentlich damit um, wenn irgendwie Leute in meinem Umfeld auch abgedriftet sind in irgendwelche Verschwörungsideologien oder eben irgendwelche marginalisierenden Ideologien. Wie gehe ich eigentlich damit um? 

Sylvia:  Ja also das finde ich teilweise auch wirklich schwierig, ich sehe das  zweigleisig erst schonmal offensichtlichen Unsinn vielleicht, aber es gibt ja auch wirklich Aussagen, da muss man erstmal erkennen, dass das Quatsch ist vielleicht. Einfach auch schonmal die Unterscheidung was ist denn jetzt eine Verschwörungstheorie, und wie könnte man dann Menschen aus dem eigenen Umfeld eben dann auch ebenso dazu bringen zu hinterfragen.

buecherwurm: Ja, also die Fragen die du aufgeworfen hast sind auf jeden Fall Fragen die ganze Workshoptage füllen, daher kann da ich da jetzt nicht so wirklich was auch nur annähernd Befriedigendes zu den Fragen sagen. Aber dieses Dechiffrieren von Aussagen ist total wichtig, aber auch überhaupt zu widersprechen finde ich schon viel viel wichtiger, als dass es eine total ausgeklügelte Gegenargumentation sein muss. Und gar nicht den Anspruch zu haben, dass es die Person sofort überzeugt was ich sage, das werden wir in den allerwenigsten Fällen erreichen. Aber eben die Hoffnung zu haben, was, ja, was auszusähen was vielleicht weiterwirkt und was vor allem vielleicht bei Umstehenden auch was bewirken kann. 

dakoraa: Wir hatten gerade das Thema wie geht man eigentlich eben mit Leuten um die mit so ein bisschen komischen Verschwörungsideologien daher kommen und wie kommuniziert man mit denen. Ich glaube wir konnten da so ein bisschen abschließen, dass es da keine so wirklich befriedigende Antwort gibt. Sondern dass das Feld eben sehr schwierig ist. Was ich persönlich da so ein bisschen mitgenommen haben ist, dass es schonmal hilft irgenwie dieses soziale Feedback zu geben: “Ey, das finde ich jetzt nicht gut was du sagst!” Also gar nicht auf diese Argumentative Ebene zu gehen sondern zu sagen “Ey, das stört mich”. Weil oft ist es ja dann auch das persönliche Verhältnis, was viel mehr bewegt.

Haecksenwerk getan, wir sind am Ende! Das war mein Teil 2 meines Gesprächs mit buecherwurm über politische Bildung. Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr konntet etwas mitnehmen. ChaosMachtSchule@home “wie werde ich” ist eine Veranstaltung von Chaos macht Schule Hannover, das findet jeden letzten Mittwoch im Monat um 19 Uhr in unserem BigBlueButton statt. Die Termine werden vorher unter hannover.ccc.de angekündigt, da könnt ihr sehen welche Themen als nächstes dran sind. Und wenn ihr jetzt die erste Folge hören wollt, oder den Podcast abbonnieren wollt, oder das Transkript oder die ShowNotes einsehen wollt, dann geht doch zu podcast.haecksen.org, da findet ihr das alles. Ich bin dakoraa, und vielleicht sehen wir uns mal wieder beim Haecksenwerk, aber bis dahin gibt es auf jeden Fall viele andere spannende Folgen von anderen Menschen aus dem Haecksenwerk-Podcast-Kollektiv.